Leseprobe
Harry Lehman denkt, es endlich geschafft zu haben, um nie mehr abfallen zu können. Dann auf einen Tag auf den nächsten wird ihm klar, dass er seinen eigenen Zenit überschreitet hat.
Harry Lehman war nach einem arbeitsreichem Leben überzeugt, sein Ziel erreicht zu haben. Er hatte ein gutes passives Einkommen durch seine Renten, welche er bezog und arbeitete noch in seinem Ruhestand als Programmierer in Telearbeit.
Harry wollte nun endlich seinen Lebenstraum am Meer verwirklichen. Alle Voraussetzungen hatte er zusammen. Geld war da, Geld kam auch noch zusätzlich durch seine Nebentätigkeit rein, welche er an jedem Ort der Welt ausüben konnte.
Seine Frau kam jetzt auch in Rente. Das Einkommen seiner Frau rechnete Harry allerdings nicht mit, es war Ihr Geld. Er hatte Köpfchen und zwei fleißige Hände, das reicht schon für zwei Personen durchzubringen.
Er sah sich schon am Meer, hinter einem kleinen Chalet sitzen, mit dem Notebook auf dem Schoß. Ein Sonnenschirm spendete Schatten, seine Frau servierte ihm kühle Drinks. Und beide waren zufrieden, doch das Richtige im Leben getan zu haben.
Dann kam der erste Niederschlag. Harry Frau war noch nicht ein halbes Jahr in Rente, da wurde sie Krebskrank, die Lunge. Sie starb einen erbarmungslosen Tod. Auf dem Boden Ihres Wohnzimmers lag Sie und ringsum war alles voller Blut. Der Notarzt hatte sie eine 3/4 Stunde lang reanimiert. Dann kam diese Frage des Arztes nach der Patientenverfügung.
Der Bevollmächtigte, welcher die Abstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen bejahen sollte, war Harrys Sohn. Harry merkte den kaputten Zustand seines Sohnes. Er konnte das nicht mehr, sein Gesicht war fahl und voller Tränen, seine Stimme total unfähig eine Entscheidung preiszugeben. Harry übernahm das, er nahm sich zusammen und lispelte “machen Sie Schluss”, sein Sohn nickte.
“Leb wohl Annegret”, Harry kniete sich in die Blutlage seiner Frau und küsste sie ein letztes Mal auf Ihre Stirn.
Was jetzt tun, dachte er ein halbes Jahr später. Zu Hause ist es ja ganz schön, aber halt ohne Meer und ein Blick über den Balkon auf einen gepflegten Rasen ist kein Ersatz. Er dachte also folgerichtig, kommt das Meer nicht zu mir, dann komme ich zum Meer.
Doch wo ans Meer. Deutschland erscheint ihm politisch zur sehr im Wandel. Alles kann hier passieren, Völkeraustausch, keiner versteht mehr deutsch, noch mehr terroristische Anschläge, Islam, Bürgerkrieg. Für Harry stand fest, es sollte ein osteuropäischer Staat sein. Zuerst dachte er an Bulgarien, dort könne er billig ein kleines Haus erwerben. Doch als er erfuhr, dass das Krankensystem dort recht unsicher ist, war das Land außen vor.
Und während Harry noch im Internet recherchierte, blinkte sein Terminkalender. Morgen 9:30 Projektbesprechung. Harry arbeitete noch Telearbeit für seinen alten Arbeitgeber. Am folgenden Morgen, Harry war entspannt trotz schlechtem Schlaf, was aber der Hitze zuzuschreiben war. Er trank schnell noch eine Tasse Kaffee und bestieg dann seinen Wagen, mit dem er 20 Km weiter zum Meeting fuhr. Er betrat die heiligen Hallen der Merysoft-Cooperation bei dessen Gründer Roland Meryman er vor 30 Jahren der Star-Programmierer war. Projekte für das deutsche Auswärtige Amt, die Europäische Gemeinschaft waren damals angesagt. Roland Meryman trat vor 5 Jahren die Firma an seinen Sohn ab. Der Kontakt zum Junior war allerdings nicht mehr so gut wie zu dessen Vater. Egal, Harry wollte gebraucht werden, nicht zum alten Eisen gehören. Im Vorzimmer des Konferenzraumes saß ein pickliges, rothaariges Bübchen. Harry schätzte ihn auf höchstens 20 Jahre ein. Der Junge betrachtete geifernd das große Aluminium-Relief an der Wand, welches ein Flowchart mit einem Algorithmus darstellte. Das Flowchart stellte einen Programmlauf dar.
Es war Harrys Programmierer Durchbruch vor 25 Jahren, eine simple Schleifenroutine, welche damals eine Firma vor den Ende bewahrte. Harry beobachtete kurz argwöhnig den jungen Mann. Es schien so als wolle Bübchen da einen Fehler entdeckt zu haben. Na ja dachte Harry da musst du noch ein bisschen wachsen. Er betrat das Besprechungszimmer, setzte sich und klappte seinen Laptop auf. Meryman Junior entgegnete ein kurzes “guten morgen Herr Lehmann”. Mit am Tisch saßen eine schweigende Schafherde, welche Ihrem Gebieter Ehrerbietens anschaute. Schon die Begrüßung mit Lehmann war für Harry eine rote Ampel. Üblicherweise redete man in dieser Firma mit Vornamen an, natürlich aber weiterhin dann in der Sie-Form. “Lehmann beantworten Sie uns mal eine Frage” Was war los, Harry wurde auf einmal total unsicher, das Blut stieg ihm ins Gesicht. Hat er etwa einen Bug geschrieben, dann musste dieser Fehler aber so groß sein. So groß, dass die Existenz der Firma auf dem Spiel steht. “Also Lehmännchen wie lange wollen Sie noch programmieren, bis ins feuchte Grab?”. Die Herde lachte auf. “Glauben Sie mir, dort funktioniert Ihr PC nicht mehr”. Die Herde kann sich nun nicht mehr halten und eine laute Lachsalbe füllt den Raum. “Sehen Sie mal Harry, Sie haben Ihren Zenit mit 68 deutlich überschritten, machen Sie Schluss, geben Sie den Jüngeren auch ein Change” Harry klappte sein Notebook zu und verließ still den Raum. “Aber Harry, Stopp kommen Sie doch bitte zurück. Sie verstehen mich falsch” Harry Kopf rauschte, er hörte den Junior nicht mehr.
In einem Alter von 68 Jahren überspring der männliche Frührentner seinen Zenit. Man gilt als abgeschrieben. Die Frauen runzeln die Stirne und bei der übrigen menschlichen Gemeinschaft wird man mit Mitleid akzeptiert. Selbst dann, wenn man innen noch jung, frisch und knusprig ist.
Harry hatte den Zeitpunkt verschlafen, war 35 Jahre verheiratet und sah keine Notwendigkeit seinen Marktwert mal zu testen. Der Bauch wurde dick und dicker. Sein Äußeres war ihm egal und so sah er dann auch aus. So dämmerte er im vergangenen Ehejoch vor mich hin.
Seine verstorbene Frau und er wetteten, wer zuerst sterben wird. Da sie 5 Jahre jünger war, glaubte er fest daran, die Wette zu gewinnen. Fehlschlag, Sie gewann die Wette. Harry war schüchterne 67 als sie über den Jordan ging.
Harry war von heut auf morgen allein, allein mit Hausarbeiten, welche er teilweise nur mit Googeln hinbekam, Google sage mir wie reinigt man Vorhänge, aber auch allein mit diesem heruntergekommenen Spießerkörper.
Er fasste sich Mut und machte zunächst mal eine Diät. Muskel müssen wieder her. Er nahm, zum trainieren, seine alten Handel aus dem Keller und fing an wieder Eisen zu fressen. Das sagt man bei BodyBuilding zum Trainieren mit Eisenhandeln. Parallel dazu ließ er sich vom Hautarzt eine Warze entfernen und konsultierte auch eine Kosmetikerin. Harry suchte sich einen coolen Friseur, wies ihn aber gleich darauf hin, die Haarlänge um Gotteswillen so zu belassen. Eine Glatze wäre sein Untergang und wachsen wie früher Fehlanzeige, die Haare sind wahrscheinlich auch schon in Rente.
In der Zwischenzeit hat ich den Zenit erreicht, er wurde 68.
Was macht nun so ein alter Mann. Er sucht sich eine neue Partnerin, klar. Sein Problem, er ist quasi ein Twen in einem Methusalem Körper. Und lassen Sie sich sagen, selbst wenn er aussehen würde wie Justin Timberlake, Jan Somerhalder oder Til Schweiger, das brächte null Nutzen, wenn er dann sein Alter nennen würde. Er weiß, ein paar Jahre später würde er protzen damit, wenn man sich wundert darüber, welche fitte Erscheinung er noch sei. Er würde dann sagen „wissen Sie junge Frau, wie alt ich bin?“ Ein bewundernder Blick seines Gegenübers, er dann mit zitterndem Kinn: „93“
Dann ein weiteres Problem, wo um Gottes willen findet er diese begehrten Frauen. Früher war das die Diskothek oder eine Gaststätte. Heute sind das die Datingplattformen im Internet. Also folgte ich dem Frohlocken eines Frosches, der da was von kostenlos säuselte. Der Internetfrosch, der auch noch sinnigerweise, “kiss no frog” hieß nahm ihn in seinen Bann. Er hatte ihn, was er später bereute, trotz Warnung im Namen, geküsst. Er musste dem Frosch bei der Registrierung seine E-Mail-Adresse angeben. Fortan klingelte es in seinem Postfach laufend.
– Klarabella will dich treffen,
– Anja interessiert sich für dich,
– Doris hat dir eine Nachricht geschrieben.
Oh toll gleich mal den Link in der E-Mail klicken und schon zeigte Kermit sein echtes geldgeiles Gesicht. Um die Nachricht von Doris zu lesen musst du Premium Mitglied sein.
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